Dieser Blogbeitrag ist ein Aufruf an meine alten Weggefährten, an Piraten mit und ohne Mitgliedsausweis und für jeden, den es sonst interessiert;)

Beim ersten Kennenlerntreffen der Sammlungsbewegung Aufstehen in Bremen fühlte ich mich an den beginnenden Hype beim Aufstieg der Piraten erinnert. Viele Menschen, die bisher keiner Partei angehören, viele Menschen, die sich enttäuscht von ihrer Partei abwenden oder abgewandt haben, viele Menschen aus Gruppen und Initiativen, die sonst für sich rummuddeln. Viele Menschen, die eine Antwort suchen auf die brennende Frage, wie wir es schaffen uns nicht nur gemeinsam aufzuregen, sondern wie wir gemeinsam handeln können, um eine Veränderung auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene zu bewirken.

Menschen, die frustriert sind, dass die Autoindustrie ihre Kunden betrügt, aber niemand dafür bestraft wird, dass Bankster uns beklauen, nicht nur mit Cum-Ex, und diese nichts zu befürchten haben. Sie sind es leid, dass Politiker unsere Gesundheit an Konzerne verkaufen für den Judaslohn eines späteren, lukrativen Posten und sie haben die Nase voll von den vielen Lügen über Reformen, die keine Reformen sondern Einschnitte sind. Diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen, führt aber zur Zeit nur zur Empörung und Politikverdrossenheit.

Wir Piraten haben damals den Weg der Parteigründung gewählt, um uns für die uns wichtigen Punkte, dem Datenschutz im Sinne der informationellen Selbstbestimmung und dem Recht auf Privatsphäre, und der Abkehr vom Konzept des geistigen Eigentums, also dem freien Zugang zu Informationen und dem freien Austausch derselben, einzusetzen. Eines unser bekanntesten Schlagworte war das vom “Systemupdate” und wir konnten mit dem Versprechen, selbst etwas ändern zu können, viele Menschen begeistern.
 
Ich stehe noch heute hinter diesen Forderungen und unseren Versprechungen, aber ich bezweifle inzwischen das der Weg über eine Partei funktioniert. Auch nicht, wenn man eine neue Partei gründen würde. Die Selbsterhaltungsmechanismen des bestehenden Systems haben sich als ein Bollwerk erwiesen, das den Status Quo der Mächtigen und Einflussreichen nicht gefährdet. Die Marginalisierung des linken, politischen Spektrum spricht für sich und sie ist nicht nur ein Produkt unfähigen Personals. Die AFD hätte niemals einen solchen Erfolg verbuchen können, wenn sie den Status Quo ernsthaft gefährdet hätte. Als im Kern neoliberale Partei dient sie den Interessen derjenigen, die keine Veränderung wünschen und auf eine Fortsetzung der Umverteilung bauen, sie kanalisiert den Frust in Richtung eines Sündenbock und dient der Verschiebung des gesamten Parteienspektrums nach rechts. Die finanziellen Eliten dieses Landes fanden so eine Verschiebung noch nie bedrohlich, im Gegensatz von Ideen der Umverteilung oder Mitbestimmung.

Das Anschieben von und der Druck zur Veränderung muss aus der Bevölkerung kommen. Wie das auszusehen hat, zeichnet sich noch nicht ab, aber der Zusammenschluss so vieler Menschen birgt das Potential entsprechende Werkzeuge und Mittel zu entwickeln und auch zur Anwendung zu bringen. Auch wenn es Richtungshinweise und Vorgaben aus dem Gründerkreis um Sahra Wagenknecht gibt, findet sich in der Sammlungsbewegung ein extrem starkes Momentum der Basisdemokratie, der an Podemos und Okkupy erinnert. Diese Kräfte brauchen Unterstützung, denn es wird aus meiner Sicht eine der  wichtigsten Aufgaben von Aufstehen werden, Formen des Protestes und der Veränderung hervorzubringen und Wege zur Durchsetzung von Forderungen zu finden, die tatsächlich zu Systemveränderungen führen.

Wir Piraten haben viele Erfahrungen mit Werkzeugen wie Liquid Feedback gemacht und viele Erfahrungen, die man nicht wiederholen muss, wie z. B endlose Tooldiskussionen. Wir wissen inzwischen, wie es eine Bewegung zerreißt, wenn sie anstatt an einigen wenigen konzentrierten Forderungen festzuhalten, sich die Forderung nach einem Vollprogramm aufschwatzen lässt und haben noch viel, viel mehr Lehrgeld bezahlt. Aber wir haben auch viel gelernt. Wie man riesige Gruppen händelt, wie Crewkonzepte funktionieren, wie man das Internet zu seinen Gunsten nutzen kann, usw.

Lasst dieses Wissen nicht ungenutzt!

Aufstehen ist eine Chance, die ursprünglichen Ideen der Piraten wie Transparenz, Open Access und echte Beteiligung in Form direkter Demokratie weiter zu entwickeln. Das Label, unter dem das geschieht, ist unerheblich. Und bringt das Wissen ein, wie schnell eine neue Partei von Karrieristen und Netzwerkern geentert wird, als Warnung es selbst zu versuchen!

Dies ist kein Aufruf zur Kaperung der Sammlungsbewegung (nautische Metaphern seien mir verziehen, aber einmal Pirat immer Pirat)!

Dies ist ein Aufruf zur Mitarbeit und Unterstützung!

Je mehr Menschen sich beteiligen, um so eher finden wir gemeinsam die Mittel, um endlich die Veränderungen in unserem Land anzugehen und durchzusetzen, die tatsächlich der Mehrheit in diesem Land nützt, den Frieden bewahrt und die Umwelt schont!